13 Juni 2006

Werte?

Rupert Stadler, Finanzvorstand bei Audi, hat für das Buch "Was uns wichtig ist" einen Beitrag geschrieben - hier ist er:

"Nach der Rechtschreibreform nun eine Wertereform? Reformen und Kommissionen hatte unser Land in den letzten Jahren nun wirklich genug. Was wir nun insbesondere in Deutschland – und dies gilt gleichermaßen für Europa – brauchen, sind Mut zur Veränderung und die Bereitschaft,
damit bei sich selbst zu beginnen. Hier klaffen Denken und Handeln noch weit auseinander.

Möglicherweise haben uns boomende Geschäftsjahre Ende der neunziger Jahre einige Wachstumsstrategien verkauft, die viel »heiße Luft« und allzu oft wenig Substanz produzierten. Dennoch haben wir daran geglaubt und versucht, damit Geld zu machen, um den eigenen Wohlstand zu mehren. Jeder Einzelne war auf seine Art glücklich, weil er das Gefühl hatte, teilzuhaben. Ob über Aktiengewinne, Lohnerhöhungen oder Urlaubsgelder – das System funktionierte.

Dies gab den Einzelnen zwar scheinbare Sicherheit, aber zeitgleich entstand ein Realitätsverlust, der die schleichende Gefahr einer zunehmenden Globalisierung in weite Ferne rückte. In diesen Phasen sind Werte eher eine Nebensache. Anders reagiert der Mensch, wenn Arbeit knapp wird, der Lebensstandard bedroht ist und Zukunftsperspektiven fehlen. Mit genau diesen Gefühlen, Sorgen und Risiken beschäftigt sich unsere Gesellschaft derzeit über Gebühr. Man überreagiert. Auf einmal wird der Osteuropäer, der bereit ist, für geringes Geld unseren Spargel zu stechen oder den Hopfen zu ernten, zum Feindbild und dies obwohl jedes Wochenende seitenweise mit Stellenanzeigen geworben wird. Politiker haben oft nicht den Mut, die Wahrheit zu sagen, oder gestalten zumindest den Prozess nicht offen genug, um ihn für die Betroffenen nachvollziehbar zu machen. Berechenbarkeit und glaubwürdige Kommunikation
sind in diesen Zeiten das A und O.

Unternehmer reagieren auf den zunehmenden Druck der Globalisierung, handeln mutig und zielstrebig und werden dafür als Turbokapitalisten oder gar als Heuschreckenplage abgebürstet.
Schade daran ist, dass vereinzelt schlechte Beispiele durch die mediale Massenwirkung zu einer Beschädigung einer Berufsgruppe führen, die sie nicht verdient hat. Wenn geeignete Rahmenbedingungen fehlen, braucht man sich über »Ursache und Wirkung« nicht zu wundern.
Im Grunde verdeutlichen Unternehmer mit ihrem Mut für zum Teil unpopuläre Entscheidungen nur, dass eine Freizeitgesellschaft ohne ausreichendeLeistung nicht funktioniert. Soziale Verantwortung heißt eben nicht, dass alles beim Alten bleiben kann! Dieses Wahrnehmungsproblem haben wir schleunigst zu lösen.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Entfernungen kleiner werden, die Veränderungsgeschwindigkeit ein rasantes Tempo vorlegt und andere Märkte und Gesellschaften hungriger auf bessere Lebensstandards sind, als wir dies durch eine gewisse Übersättigung sein können.

Wir brauchen wieder eine neue Balance aus Leistung und Zuversicht. Unsere Tugenden müssen reaktiviert werden, um eine Aufbruchstimmung zu erzeugen.

Die Frage ist nur: Wie ?

Und genau auf der Suche nach dem »Wie« traf ich mit einem Team junger Leute aus verantwortlichen Führungspositionen zusammen, die sich bereit erklärt haben, den Tanker Deutschland wachzurütteln, um Perspektiven und Ziele zu formulieren und Aufbruch zu leben. Das Fundament dieser Menschen sind gemeinsam formulierte Werte.

Leistungskultur, unternehmerischer Mut und Vertrauen in die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit anderer sind wesentliche Anker dieser Initiative. Für sie alle gilt, nicht das Erzählte reicht, sondern das Erreichte zählt.

Viele Unternehmen erarbeiten mit Hilfe externer Berater Leitlinien und Leitbilder für die Werte, die sie verkörpern wollen. Broschüren werden gedruckt und als Wurfsendung an Mitarbeiter verteilt.

So anonym stelle ich mir ein Wertesystem nicht vor. Zu oft mangelt es nach getaner Arbeit an Authentizität, weil in Prosa gekleideten Begriffen das Lebenselixier fehlt.

Werte werden nur dann Teil einer Unternehmenskultur oder auch Teil einer Gesellschaft, wenn sie in Führungsetagen vorgelebt werden. Man kann nicht »Wasser predigen«, danach »Wein trinken« und sich hinterher wundern, wenn beschlossene Veränderungen im Tagesgeschäft nicht umgesetzt werden.

Menschen brauchen Führung und Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Das bedeutet aber auch, dass man sich daran messen lassen muss. Wir alle werden in den kommenden Jahren lernen müssen, mit harten einschneidenden Entscheidungen umzugehen. Dies stellt vor allem die soziale Verantwortung der Entscheidungsträger auf eine sehr harte Probe. Ohne ein gemeinsames Werteverständnis fehlt dann der Halt, die Einsicht und damit der Erfolg auf Erneuerung sowie eine nachhaltige Zukunftssicherung.

Wir brauchen wieder Mut zu Wettbewerb und Höchstleistung. Bekanntlich ist der Mensch in der Not am kreativsten. Den Fortschritt aber verdanken wir wie immer den Nörglern. Denn
zufriedene Menschen scheuen Veränderungen.

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